Auch andere sind kritisch

Fundstück auf Spiegel Online:

Luxuriöse Zukunftsschule

Tschüs, Papier

Von Susanne Lettenbauer

Digitale Schule: Edel-Internat elektrifiziert seine Schüler

Fotos
Schloss Neubeuern

Die Schüler am privaten Gymnasium Neubeuern sind Zukunftsreisende: Sie lernen nicht mit Tafel, Füller und Bleistift, sondern ausschließlich am Lehrer-überwachten Desktop ihrer Tablet-PC. Das Nobel-Internat kann sich das leisten, wovon viele Schulen nur träumen können.

Jeden Morgen um kurz nach 8 richtet sich die 15-jährige Antonia ihren Arbeitsplatz in der Schule ein: Ihren Tablet-PC schiebt sie in die Dockingstation und klickt auf die digitale Anwesenheitsliste, die ihre Bildschirmoberfläche in Kleinformat auf den Lehrer-PC beamt. Sie schaut nach vorn, wo sonst eine Tafel hängt, flimmert der Desktop ihrer Lehrerin in Großformat. Der Unterricht in der 10. Klasse des Privat-Gymnasiums Neubeuern in Bayern ist digital. Komplett. So stellt man sich die Zukunft vor.

Die Schülerin Antonia lernt seit gut eineinhalb Jahren in der digitalen Zukunft. Inzwischen muss sie ihre Hausaufgaben nicht mehr doppelt machen, anfangs hatte sie oft das Speichern vergessen. Von Programmen wie vCal, Outlook oder doodle.com hatte sie zuvor noch nie gehört. Heute synchronisiert sie ihre Termine per Smartphone, auch mit Freunden verabredet sie sich nur noch online.

Vieles von dem hat sie dem Leiter des privaten, staatlich anerkannten Gymnasiums „Schloss Neubeuern“ zu verdanken. Jörg Müller fragte sich vor drei Jahren: „Was tun wir eigentlich, damit Jugendliche diese neue Kulturtechnik erwerben und in einer vernetzten Datenwelt agieren und leben können?“ Die Antwort fiel deprimierend aus. Er überzeugte daraufhin die verantwortlichen Stiftungsmitglieder, die Schule komplett auf digitale Tinte umzustellen. Rund eine halbe Million Euro kostete das, rund eine Viertelmillion kostet der laufende Betrieb jährlich. Während öffentliche Schulen von derartigen Investitionen nur träumen, zahlen die Eltern am Edel-Internat monatlich 2500 Euro Schulgeld. Zudem wird die Schule vom Computer-Riesen Microsoft unterstützt. Am Geld muss hier niemand sparen.

„Die Lernmotivation in der Klasse ist gestiegen“

Aber profitieren Schüler tatsächlich von einem digitalen Unterricht? Der Geografielehrer Jörg Aster, 54, unterrichtet seit 20 Jahren in Neubeuern, vor ein paar Monaten führte er seine Schüler erstmals digital durch den Unterricht. Anfangs fiel es ihm schwer, gleichzeitig die Technik zu bedienen und den Unterrichtsstoff zu vermitteln. Irgendwann schrieb er sich kleine Kärtchen, die seitdem am Lehrerpult liegen, darauf notierte er etwa, wie er sich seine Arbeitsumgebung auf dem Computer sinnvoll einrichtet. Beim Korrigieren fehlt ihm oft noch das Papier und manchmal ärgert ihn die Technik: „Es kommt öfter vor, dass Computerstifte fehlen, der Akku nicht aufgeladen ist oder die Software nicht richtig funktioniert“, sagt er.

Auch würden sich die Schüler liebend gern ablenken lassen: Facebook und YouTube locken permanent. Allerdings kann Aster jeden Schritt seiner Schüler am digitalen Lehrerpult beobachten und zur Not die Bildschirme zentral in den Ruhezustand versetzen. Während entnervte Lehrer früher Schülerbriefchen abgefangen und vorgelesen haben, können die Lehrer in Neubeuern den Desktop des Querulanten an die Wand werfen.

Schülerin Antonia findet die strikten Regeln okay. „Ist halt Unterricht. Da soll man sich konzentrieren“, sagt sie. „Das ist wie im Job: Da darf ich ja auch nicht privat surfen.“

Trotz der Tücken ist Geolehrer Aster vom digitalen Unterricht überzeugt: Die Lernmotivation in seiner Klasse sei auf jeden Fall gestiegen, sagt er. Und der Schulleiter Müller freut sich, dass Schulhefte am Ende des Jahres nicht mehr in den Müll wandern. „Das Schöne ist, dass wir nicht mehr in Häppchen lernen“, sagt er. Jetzt gebe es endlich die Möglichkeit, sein Wissen über Jahre zu strukturieren. Jederzeit seien die Mitschriften und Unterrichtsinhalte präsent, und ein Abiturient könne sich per Suchfunktion durch den Stoff der neunten, zehnten oder elften Klasse klicken.

Neue Technologien können das Lernen verändern

Nicht alle Schüler sind davon überzeugt. Einige verließen die Schule, weil sie endlich wieder normalen Unterricht haben wollten, erzählt Geolehrer Aster. Auch Wissenschaftler sind sich uneins, ob Schüler tatsächlich vom digitalen Unterricht profitieren – Tenor: guter Unterricht kann durch neue Medien besser werden, schlechter nicht.

Frank Fischer, Professor für Empirische Pädagogik und Pädagogische Psychologie an der LMU München, sieht den Ansatz in Neubeuern grundsätzlich positiv. In Studien wurde nachgewiesen, dass neue Technologien ein neues Lernen bewirken. Aber: „Das ist nicht der Fall, wenn der einzige Unterschied die verwendete Technologie ist. Kreide versus Whiteboard, Buch versus Tablet-PC, Mobiles Lernen versus Klassenzimmer – dann finden Studien nur selten einen Unterschied mit Blick auf den Lernerfolg.“

Aber: Neue Unterrichtsansätze wie beispielsweise forschendes Lernen könnten mit Hilfe dieser neuen Technologien erst richtig umgesetzt werden. Statt nur zuzuhören und Fragen zu beantworten, könnten Schüler in kleinen Gruppen an Forschungs- oder Gestaltungsprojekten arbeiten. Das von ihnen erarbeitete, neue Wissen könne in Wikis dokumentiert werden. Fischer sieht ein großes Innovationspotential – „wenn Neubeuern solche innovativen Unterrichtsansätze realisiert“.

Der Informatik- und Deutschlehrer Armin Stadler kann sich einen Job an einer normalen Schule nicht mehr vorstellen. „In Informatik beispielsweise können die Schüler Datenbanken erstellen und zu Hause genau dort weiterüben, wo wir im Unterricht aufgehört haben.“

Laptop-Klassen genügten allerdings nicht dem Anspruch des Internats in Neubeuern, schreibt die Schule auf ihrer Homepage. „Es besteht permanent die Gefahr, dass der Laptop zum Alibi-Accessoire verkommt.“ Drei Techniker sorgen an der luxuriös ausgestatteten Schule dafür, dass die Computer laufen und optimal genutzt werden. Sie betreuen die bislang 60 Hightech-Schüler und natürlich auch die Lehrer, die die Hilfe gern in Anspruch nehmen.

Bis September 2012 sollen rund 130 Schüler, also etwas mehr als die Hälfte, mit einem Tablet ausgestattet sein. Die Schüler dürfen sie privat nutzen, die Geräte bleiben aber Schuleigentum.

Die Schülerin Sofia arbeitet seit einem halben Jahr am Tablet, sie findet das System mittlerweile „ganz okay“. Sie sagt: „Das ist wie ein ganz normales Heft, vielleicht sogar besser, weil man es gleich wieder löschen kann.“ Das Löschen, betont ihr Schulleiter, sei aber eigentlich nicht Sinn des neuen Systems.

2 Gedanken zu „Auch andere sind kritisch

  1. Breeeza sagt:

    Hey Lena,

    auf meinem letzten Blog hab ich auch festgestellt, dass sich manche Zeitungsartikel ganz gut zur Diskussion eignen.
    Und im vorliegenden bin ich über den Satz hier gestolpert: „Tenor: guter Unterricht kann durch neue Medien besser werden, schlechter nicht.“ Ich würd gern wissen, wer in dem Tenor mitsprechen durfte. Und ob man das beweisen kann…
    Dir muss ich wohl nicht sagen, dass durch digitale Medien der Unterricht auch genauso gut schlecht sein kann und sogar noch mehr Abwechslungspotenzial bietet (die Lehrer/innen an der Schule müssen ja uach wahnsinnige Multitasker sein: Unterrichten, alle Bildschirme der Schüler abchecken, selbst mit der Technik klarkommen, …) [könntest du ja in einen Blogbeitrag packen ;)]
    Der finanzielle Aspekt erledigt sich ja an „normalen“ staatlichen Schulen von allein…
    Dennoch interessant zu lesen, wohin es uns führen könnte 🙂

    LG Isa

  2. mayrberger sagt:

    … ja, den Artikel kenne ich 😉 Hier habe ich mich selbst gefragt, wo zwischen der Marketingmaßnahme die didaktische Veränderung hin zu einem „neuen Lernen“ konkret zu suchen ist, wie sie z.B. Hr. Fischer von der LMU vorschlägt 😉 Denn in der Tat gilt immer noch: „guter Unterricht kann durch neue Medien besser werden, schlechter nicht“

    Was genau finden Sie an diesem Beitrag kritikwürdig?

    KM

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